Gottfried Mayerhofer Entwicklung des Mannes - Gottfried Mayerhofer

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EHE UND FAMILIE

Knabe, Jüngling, Mann und Greis
Hier seht ihr vor euch den Stufengang eines Menschen, auf- und abwärts, während seines Lebenswandels auf dieser Erde. Körperlich geht es auf- und abwärts auf dieser Stufenleiter, geistig sollte es nur aufwärts führen.
Der Knabe oder das Kind, unbehilflich geboren, seine Seele in einem Traumleben befangen, weiß und erkennt nichts, muss alles erst lernen, selbst seine Gedanken, die mit dem Entwickeln seines Ichs sich vermehren, in eine Sprache einkleiden, welch letztere anfangs mangelhaft, dann stets klarer und bezeichnender wird, je mehr der Körper und das Begriffsvermögen voranschreiten.
Der Geist, als Funke von Mir, verhält sich ruhig, in das Innerste des Herzens eingeschlossen, treibt nur hie und da die Seele an, auf die gesetzmäßige Weise ihren Körper auszubilden, um denselben als tüchtiges Werkzeug gebrauchen zu können, und um den aus dem regelmäßig ausgebauten Körper sich entwickelnden Seelenleib für ein anderes Leben mit ins Jenseits hinüberzunehmen, wenn der irdische Leib als die Umhüllung der Seele für sie nicht mehr brauchbar ist und sie eines anderen bedarf.
Im Knaben oder Kind schlafen noch alle Leidenschaften, höchstens der Eigensinn und der Zorn sind es, die sich kundgeben; es sind dies die ersten Schmarotzerpflanzen, die sich um den jugendlichen Lebensbaum ranken, sich an ihn anklammern und, wenn nicht früh Hilfe zur rechten Zeit dazutritt, den ganzen Baum seiner Kräfte berauben, seine Säfte und Kräfte in die der beiden Unkrautpflanzen verwandeln und dann den mit diesen Eigenschaften aufwachsenden Menschen gänzlich verderben, indem er als Sklave dieser Leidenschaften beinahe auf allen geistigen Fortschritt Verzicht leisten muss, und viele Unannehmlichkeiten sich und auch anderen bereitet, die mit ihm in Berührung kommen.
Eigensinn und Zorn sind einige der mächtigsten Eigenschaften der satanischen Natur, denn des ersten wegen will der Satan nicht auf den Weg zu Mir einlenken, und wegen der zweiten Eigenschaft kann er keiner leisesten Spur von Liebe in seinem Herzen Eingang geben, die ihn, statt wilder, sanfter machen würde.
So geht es dem Knaben, da gar oft dumme Eltern, statt diese beiden Eigenschaften mit aller Gewalt zu bekämpfen, diese noch unterstützen, glaubend, wenn man dem Kind nicht gibt was es will, man ihm an der Gesundheit schade, oder mit der leichtfertigen Ausflucht gleich bereit sind, das Kind versteht ja nicht, was es will; wenn es größer wird, wird es schon anders werden. Törichte Eltern! Ja, es wird anders werden; das, was es als Kind mit Tränen und unartikulierten Lauten ausdrückte, wird sich später in lieblose und kränkende Worte gegen euch verwandeln, dann mit dem Wachsen des Kindes und eurem Abnehmen vielleicht in tätliche Handlungen ausarten, wo ihr eure schöne Aussaat wieder zurückbezahlt erhalten werdet, wie ihr es verdient habt.
Das Kind, welches wie eine Pflanze sich nach und nach entwickelt, und immer mehr seine Arme von der Mutterbrust in die weite Welt hinausstrecken will, um gerade das zu erfassen, was von ihm am weitesten entfernt liegt, das Kind wächst mit der Erkenntnis, und mit der Erkenntnis wachsen die Leidenschaften, und mit den Leidenschaften wächst die Begierde, diese zu befriedigen.
So angekommen in einem Alter, wo dieser Strom geistiger, seelischer und körperlicher Triebe noch wie untereinander vermischt, geläutert werden muss, tritt das Bedürfnis des Lernens und der Schule heran, das Kind muss einen Begriff bekommen, was gut, was schlecht, was erlaubt, was verboten, was Tugend und was Sünde ist.
Hier, in diesem Stadium der Läuterung aller jugendlichen Begierden und Wünsche, müssen Eltern und Lehrer alles aufbieten, den von jugendlichem Übermut beinahe überflutenden Strom aller Wünsche, Leidenschaften und Begierden in ein streng abgeschlossenes Bett einzurahmen, ihm Dämme zu setzen, damit er nicht aus seinen begrenzten Ufern heraustritt.
Hier fängt die Seele an zu lernen, das heißt das erste ernste Wort des geistigen Menschen; es ist die Bezähmung seiner Leidenschaften, die Kraft, seinen Wünschen ein Ziel und seinen Eingebungen und Einflüsterungen ein gerechtes Ja oder Nein entgegenzusetzen.
Mit der Schule und dem Beispiel der Eltern als erste Führer in ein weiteres Feld eintretend, gleitet das Lebensschiffchen des Knaben zwischen Spiel und Lernen, Belehrung und Bestrafung in das Jünglingsalter, mehr schon aufgeweckt in Geist und Seele; sowohl mit anderen ihm Gleichstehenden als Höheren oder Älteren in Berührung kommend, drängt es die jugendliche Seele zu fragen über Dinge, die sie zwar willenlos als Kind angenommen, aber nicht aus Überzeugung in ihrem Inneren zur Vergeistigung ihres eigenen Ich gemacht hat.
Mit dem Eintritt in eine höhere Lebenssphäre, die zwar auch noch voll von Trugansichten ist, fängt das Fragen an, aber warum dieses, warum jenes? – Gemäß der Aufklärung baut sich dann der geistige Mensch im Inneren auf, es regen sich im Jüngling endlich auch die geschlechtlichen Triebe, er sieht sich zum weiblichen Geschlecht hingezogen, das ihm in seinen Schuljahren gleichgültig, oft sogar verächtlich war.
Dieser Trieb, so gefährlich für die entfesselte Natur, ist doch einer der heilsamsten, denn er zähmt oft die rohesten Leidenschaften eines verdorbenen Kindes; und was Mutter, Vater und Lehrer nicht möglich war, das bezähmt ein Blick aus einem Auge voll Liebe und Seelenglück eines sich dessen nicht bewussten Mädchens, welches in dieser geistigen Magnetisierung etwas vollbringt, das nur in den Himmeln begriffen, dort einst seine rechte Aufklärung finden wird und hier auf dieser Erde nur einen leisen, leider nicht bleibenden Nachklang zurücklässt.
Mit dem Eintritt dieses Wendepunkts im Jünglingsleben ist der erste Schritt getan zum Mannesalter; die Liebe, die den Jüngling mit Rosen bekränzt, die ihm einen Himmel offen zeigt, den er noch nicht begreifen und fassen kann, diese Liebe, zuerst nur dem Gegenstand seiner Neigung zugewendet, leitet ihn dann zum Bewusstsein des Mannes und seiner ernsteren Pflichten.
So geht der ungestüme Jüngling in den bedächtigeren Mann über, wo die Lebensverhältnisse ernster werden, und der Mann, nicht mehr allein lebend, sondern eine Lebensgefährtin suchend, von dem Einzelleben in das der Familie eintritt, wo er seine Leidenschaften mehr bekämpfen muss, ein ernsteres Anschauen seines eigenen Lebens, um sich und die Seinen zu erhalten, ihm Pflichten auferlegt, von denen er als Knabe keine Ahnung, als Jüngling keinen Begriff hatte, und deren ganze Tragweite er jetzt erst als Mann erfassen kann.
Wie ein lustiger, frischer Wildbach sprang der Knabe über Stock und Stein; in der Ebene angekommen, noch von seiner Gefällsgeschwindigkeit zwischen den Bergen in sich habend, rauscht er als Lebensstrom lustig zwischen blumigen Ufern fort, doch stets mehr seine Geschwindigkeit verlierend und in der Ebene sich mehr und mehr ausbreitend, gleitet er ins Mannesalter hinüber.
Als Mann tritt er mit seinen neuen Lebensbedürfnissen, neuen Lebenssorgen und neuen Verpflichtungen gegen seine Familie schon in ein Stadium, wo der geistig-seelische Mensch in ihm, mehr und mehr nach einem gewissen Gesetz formiert, entweder die Tendenz zum Guten, das heißt den Weg zu Mir, oder die entgegengesetzte, das heißt weg von Mir, angebahnt hat.
So treibt sein Lebensstrom fort, suchend, zweifelnd, aus dem Gefundenen sich ein eigenes Ich aufbauend, vielleicht stets mehr und mehr ruhiger werdend, glorreich aus allen Kämpfen und Zweifeln heraustretend, endlich als ruhiger Fluss dem Greisenalter entgegen schleichend, wo die Bewegung beinahe aufhört und, eigentlich wie der Hamster vom zusammengetragenen Kapital während der Lebenssommerzeit, von selbem gelebt werden muss, da Neues schwerlich hinzukommt, und alles, was die menschliche Laufbahn betrifft, durchgemacht ist, ihre Täuschungen, ihre Freuden, nun endlich die Ernte der vollbrachten Taten einzuheimsen ist.
So steht der Greis am Rand eines sichtbaren Körperlebens, hinter sich eine Vergangenheit, die nie zurückkehrt, vor sich eine unklare Zukunft, zwischen zwei Welten, einer sichtbaren und einer unsichtbaren, den Augenblick abwartend, wo seine Lebensuhr abläuft, und das so oft bewegte Pendel seines Körpers, das Herz, still steht.
Wohl dem Greis, der am Ende, nach heftigen Kämpfen und vielfachen Störungen, wenigstens doch so viel sich gerettet hat, dass das Kleid seiner Seele dem Urtypus Meines Ebenbilds, wenn nicht gleich, doch sich ihm genähert hat; wohl ihm, wenn er, sei es auch erst spät, doch seine Mission auf dieser Erde, seinen Gott und Herrn und die andere Welt richtig erkannt hat; er wird den Scheideaugenblick ruhig erwarten, wo die Kleider gewechselt werden, er wird die Welt ohne Scheu und ohne Reue verlassen, denn er hat, wenngleich spät, seinen Schöpfer, seinen Vater gefunden, Der ihm, dort oben, seinem stets jugendlich gebliebenen Herzen gemäß, gewiss auch ein jugendlich frisches Kleid anziehen wird, damit er dort als ewig schöner und stets geistiger werdender Jüngling auf der Stufe der Vervollkommnung immer mehr und mehr sich Mir nähern kann, um des Namens Gottes Kind ganz würdig zu werden.
Hier habt ihr den Weg des Kindes, des Jünglings, des Mannes und des Greises, in wenigen Umrissen dargestellt vor euch.


Quelle: „Lebensgeheimnisse“, Kundgabe v. 28. Juli 1870 (Kap. 5)


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