Gottfried Mayerhofer Allerheiligen - Gottfried Mayerhofer

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Zum Allerheiligen- und
Allerseelentag


Unter so manchen Festen, die von den Päpsten eingesetzt worden, befinden sich wohl einige, welche eine höhere geistige Bedeutung wenigstens bei ihrer Einsetzung gehabt hatten, jedoch mit der Zeit verunstaltet, missbraucht und missverstanden wurden.
Nun, heute und morgen feiert die ganze Christenheit wieder zwei solcher Feste, welche ihrer Bestimmung nach gut, ihrer Anwendung nach aber schlecht zu nennen sind.
Das erste von diesen beiden, das Allerheiligenfest, beruhte schon vom Anfang an auf einem großen Irrtum, denn die Menschen fehlten, zuerst weil sie Menschen zu Heiligen machten, und zweitens, weil diejenigen, die eure Kirche heilig sprach, nicht immer wirklich heilig wurden, oder klar herausgesagt, weil niemand diesen Titel verdiente; denn heilig bin nur Ich allein! Wenn so manche Menschen ihres Glaubens wegen für Mich ihr Leben ließen und den Märtyrertod starben, oder andere ein Mir gefälliges, frommes, wohltätiges Leben führten, so waren und sind sie noch der Verehrung und eines frommen Andenkens würdig. Dass sie aber deswegen schon auf Erden sich einen Beinamen verdient hätten, den jemandem beizulegen erst Mir in Meinem Geisterreich zusteht, das war ein Eingreifen in Meine Rechte, also vorerst eine Sünde, und zweitens eine Lüge. Denn die Menschen können fehlen, aber ein Heiliger muss unfehlbar sein, er muss ganz geheilt sein von allen menschlichen Gebrechen und Fehlern, und das wird kein Mensch, solange ihn noch die körperliche Hülle umkleidet, und auch dann noch nicht, wenn er in Meinem Reich angekommen, noch seine von der Erde angeerbten Fehler mitbringt und selbe erst nach und nach ablegen muss.
Daher, wie Ich schon gesagt habe, verdienen manche zwar die Verehrung und Nachahmung, aber Heilige sind sie deswegen doch nicht. Selbst Meine Leibesmutter, die Ich schon früher zu diesem Zweck als solche bestimmt hatte, selbst sie ist nicht heilig, sie ist und war eine reine Seele, aller Nachahmung würdig, aber dass sie Meine Mutter wurde, ist nicht ihr Verdienst, sondern der Meine, denn Ich machte sie dazu, wovon sie es zu werden, keine Ahnung hatte.
Das Fürbitten bei ihr um Meine Gnade anzuflehen, wie es bei euch geschieht, und besonders vom weiblichen Geschlecht, ist eine falsche weltliche Ansicht, die nur schwachen Köpfen passt, weil sie den eigentlichen Zusammenhang zwischen der Welt und Meinem Reich nicht kennen, und weil sie ihre weltlichen Gebräuche auch auf Meine Himmel ausdehnen möchten.
Würden nur alle Mädchen und Weiber Meine Leibesmutter nachahmen, es wäre schon genug, denn dann hätten sie gerade diejenigen Eigenschaften, von deren Gegenteil jetzt die Welt voll ist, d.h. sie wären demütig statt stolz, sie wären freigebig statt neidisch, sie wären die personifizierte Liebe statt jetzt der personifizierte Hass, sie würden überall verzeihen als jetzt bei jeder Unbill ewige Rachegedanken zu hegen, sie wären züchtig statt jetzt unzüchtig.
Lassen wir sie alle ihre Wege gehen, sie werden schon sehen, wohin sie ihr Lebenswandel führen wird, zu Mir nicht, das ist gewiss, und zu Meiner ehemaligen Leibesmutter auch nicht, das weiß Ich ebenfalls. Denn Meine ehemalige Leibesmutter ist jetzt ein großer Geist, und euer weibliches Geschlecht besteht meist aus sehr kleinen Geistern und verdorbenen Seelen.
Wir wollen also die Heiligen sein lassen, und wenden uns nun zum zweiten Tag, dem Allerseelentag, weil er für uns mehr Lehrreiches enthält, und ihr eben dort am finstersten denkt; hört also weiter:
Das Fest zu Ehren aller Verstorbenen wurde eingesetzt, damit die Menschen sich doch wenigstens einmal im Jahr erinnern möchten an die, welche früher als sie in jenes unbekannte Jenseits hinübergegangen sind, von wo, wie die meisten Menschen glauben, niemand mehr zurückkommt.
Dieses Fest wurde eingesetzt, um die Menschen daran zu erinnern, dass eigentlich über’s Grab hinaus keine Leidenschaft mehr herrschen, und nur Verzeihung und Liebe in ihrem Herzen für die Dahingeschiedenen walten sollte!
Gut, dem Äußeren nach ist auch der Gebrauch bei allen Völkern geblieben, an jenen Tagen die Grabstätten der Dahingeschiedenen mit Blumen und sonstigen Zierraten zu schmücken. Allein, bei diesem Schmücken soll es eben nicht bleiben, deswegen ist dieses Wort an euch gerichtet, damit ihr, während ihr seht, was die meisten tun, etwas besser diese Feier verstehen und auffassen sollt, und so einen geistigen Schritt weiter zu Mir machen könnt, indem ihr diesen Festtag als Versöhnungstag mit den Verstorbenen feiern, und wenn ihr den Lebenden nicht immer verzeihen wollt, doch euren Hass nicht über’s Grab hinausdehnen sollt.
Seht, heute sind alle Kirchhöfe und Gottesäcker voll von geschmückten Gräbern. Blumen und gefärbte Laternen hängen an allen Gräbern. Neben dem Moder und der Verwesung stehen jetzt die ewig grünende Natur und das alle Finsternis vertilgende Licht. Nur in den Herzen der zwischen den Grabhügeln herumwandelnden ist es finster, nur dort blüht kein grünender Friedenszweig der Versöhnung, nur dort leuchtet kein größeres geistiges Licht, das den umherwandelnden zeigen könnte, dass hier auf den Gottesäckern und Friedhöfen die herumwandelnden die Blinden, die Hinübergegangen aber zum größeren Teil die Sehenden geworden sind.
Wenn auch hie und da eine Träne der Wehmut, eine Träne der sanften Erinnerung für die Verstorbenen fließt, so steckt hinter diesem Schmerz oft mehr Eigennutz wegen der Verhältnisse, die ein solcher Todesfall herbeigeführt hat, als wegen dem eigentlichen Verlust der Geschiedenen, sei es Kind, Schwester, Bruder, oder Freund.
Hätten die Menschen den richtigen Begriff der geistigen Welt und ihres Zusammenhangs mit dem Materiellen, so würden die hier zurückgebliebenen eher sich zu beklagen haben, als jene, die schon ihre weltlichen Prüfungen überstanden haben.
Ihr nennt jene Stätten Friedhöfe und Gottesäcker, wo ihr der Erde zurückgebt, was ihr gebührt, ihr nennt sie so unbewusst mit dem rechten Namen. Denn allen weltlichen Trieben und Begierden ist dort ein Halt, ein Stillstand gesetzt, wobei zwar die Leidenschaften der Seele hinüberfolgen, jedoch deren Ausübung nicht so möglich ist, wie es in der Welt war, und wo dann wenigstens teilweise ein Friede eintreten muss.
Ihr nennt sie Gottesäcker, ja dort ist der Acker, wo nicht gesät, aber geerntet wird, dort ist der erste Abschluss eines flüchtigen Erden- und der Anfang eines ewigen Geisterlebens.
Wenn doch die Menschen dieses alles bedächten, die eben an diesem Tag so gedankenlos zwischen den Grabstätten von Betrogenen und Betrügern herumwandeln die Verzierungen der Gräber angaffen und auch die Vorübergehenden, und ihren Leidenschaften vollen Flug lassen, Böses sagen und Böses tun, während ihnen doch jeder Grabhügel, jeder Grabstein zuruft:
Törichter Wanderer, der du hier so geistlos unter uns herumgehst, bedenke doch, wie schnell die Zeit eilt, und wieviel du noch zu tun hast, um entweder dem gleich bitteren Erwachen von so manchen unter uns auszuweichen oder der Freude der Besseren teilhaftig zu werden. Die Zeit eilt und du weißt nicht, ob du nicht schon morgen in unserer Gesellschaft bist, während du dich heute so brüstest mit dem Bewusstsein deines Daseins. Dass du ein anderes Leben, die Fortdauer einer gestorbenen Menschenseele annimmst, wird dadurch bewiesen, da du auf diese Grabstätte Blumen legst und diese letzten Hügel schmückst, aber bedenke doch auch ernstlich was aus den Dahingegangenen eigentlich geworden ist. Weißt du es? – Gewiss nicht! Erziehung und pfäffische Lehren haben dir einen verwirrten falschen Begriff von der anderen Welt gegeben, aber in manchen Stunden und bitteren Verhältnissen deines Lebens wandelt dich doch der Gedanken an, dass alle diese Vorstellungen, alle diese Lehren dich nicht ganz trösten können, und doch suchst du nicht den wahren Weg auch diese Geheimnisse, die dir aus dem verschlossenen Sarg entgegenblicken zu enträtseln, und eben deswegen rufen wir Verstorbene dir zu: Erwache aus deinem Erdentraum! Du siehst nicht, du lebst nicht, du bist blind, lebst in einem Wahn, der, folgst du deinen Begierden, dir bittere Enttäuschung bereiten wird.
Und auch für euch, für welche diese Zeilen bestimmt sind, auch euch rufe Ich es zu: Erwacht aus eurem Taumel! Lasst allen Hass und Zorn beiseite! Und eben heute, an diesem Tag, wo in allen Kirchhöfen wenigstens viele sich ihrer Verstorbenen erinnern, erinnert auch ihr euch ihrer. Ja, betet für die Dahingegangenen, ob sie euch wohl oder wehe getan haben. Was sie taten, taten sie unter dem Einfluss irriger Ansichten, irriger Auffassung des menschlichen Lebens und der irdischen Glücksgüter. Es war oft nicht ihre Schuld allein, es war auch die Schuld der seit ihrer Jugend eingesogenen irrigen Begriffe und Ideen.
Und ihr, die ihr jetzt so stolz über die anderen urteilen wollt, seid denn ihr gar so frei von irrigen Begriffen, dass ihr schonungslos den Dahingegangenen flucht, und sie so an ihrem Aufschwung zu Mir, an ihrem sich bessern hindert, seid denn ihr berechtigt die zu verdammen, weil sie nicht getan haben, wie ihr es in eurer egoistischen Blindheit gewollt, damit ihr dann noch schlechter handeln könntet als sie selbst getan? Daher lasst ab von Rache- und Fluchgedanken! Segnet und betet für die Verstorbenen! Wenn sie fehlten, so taten sie ja nur, was auch ihr jetzt täglich tut, und wenn euch eure Fehler vergeben werden sollen, so vergebt ihr vorerst die der anderen, die schon längst das Resultat ihre Handelns aus Meiner Hand empfangen haben. Vergebt ihnen und betet zu Mir, dass auch Ich euch eure weltlichen Begierden nicht zu hoch anrechne, und kommt einst der Tag der Scheidung von dieser Erde für euch, dass dann auch ihr nicht so viel zu leiden haben mögt bis ihr die eingewurzelten bösen Gewohnheiten und Leidenschaften abgelegt habt.
Wenn euch die Kraft fehlt mit den Lebenden umzugehen wie einst Ich, so versucht es doch wenigstens mit denen, die nicht mehr auf eurem Erdball leben, und die jedes Gebet von euch mit Liebe aufnehmen werden, und das um so mehr, je weniger sie es, von eurer Seite betrachtet, verdient haben.
Dieses soll euch der Allerseelentag ins Gedächtnis rufen, dass auch ihr, über Kurz oder Lang, den nämlichen Weg gehen müsst, und so wenig euch der Gedanke gefallen kann, dass jemand an eurem Grabhügel einen Fluch euch in die andere Welt hinübersendet, ebenso wenig freut es die vor euch schon Dahingegangenen. Begreift diese geistigen Brücken, welche eben die Friedhöfe und Gottesäcker sind, dort ist der letzte Ruhepunkt eurer körperlichen Hülle, und die erste Staffel zur geistigen höheren Entwicklung. Entweiht nicht diese Orte durch Gedanken voll Hass und Rache, beschuldigt niemanden, sondern segnet und betet für alle, die den Weg schon früher antreten mussten als ihr. Verzeiht, dass auch Ich euch einst verzeihen kann! Amen.


Quelle: "Wahrheit über Spiritismus", Neu-theosophische Schrift Nr. 41, Kundgabe vom 1. November 1871


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