Gottfried Mayerhofer Die Zeit - Gottfried Mayerhofer

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Die Zeit
Du willst auch noch dieses Wort erklärt haben, nun so schreibe denn, da doch nichts mehr vergeudet wird von euch Menschen, als eben gerade die Zeit, d.h. diejenige, welche euch als Prüfungsleben zugemessen ist.
Seht, ihr wisst alle nicht, was Zeit ist, was sie bedeutet, und welchen Wert sie hat, sonst würdet ihr alle anders leben, als ihr es wirklich tut. Um euch aber doch einen Begriff von diesem Wort beizubringen, der einem geistigen Wesen, wie ihr Menschen es sein sollt, würdig ist, so will Ich denn euch diesen Begriff so viel erklären, als endliche Wesen Unendliches fassen können.
Was ist also Zeit? und wie erkennt ihr, dass es wirklich eine Zeit gibt? „Zeit ist nichts anderes als ein Abschnitt des Gedankens der Ewigkeit, ein kleines Bruchstück eines großen unendlichen Ganzen!“ Ihr würdet nicht wissen, was Zeit ist, könntet ihr nicht selbe an materiellen Dingen ermessen, wo zwischen Kommen und Entstehen, und Verschwinden und Vergehen ein Zeitraum verflossen ist, welcher, wie ihr es auch tut, gemessen oder mit Zahlen ausgedrückt werden kann.
Nur im Sichtbaren ist die Zeit unzählbar, in der Ewigkeit, wo der Raum keine Dimensionen mehr hat, dort hat auch das Maß der Zeit aufgehört, dort herrschen Begriffe und Ideen, die für endliche Wesen nicht fassbar, nicht begreiflich sind.
Ein endliches Wesen kann eben deswegen Mich, den Zeitlosen, nie begreifen; denn wenn gleich die ewige Fortdauer zu denken möglich ist, so ist doch das, nie einen Anfang gehabt zu haben, für geschaffene Wesen ein Absurdum, ein Unbegreifliches, Undenkbares, und darin besteht der Unterschied zwischen Mir und aller Geisterwelt. Es ist dieses Wort „Zeit“, welches Meine Göttlichkeit präzisiert, mehr als alles Andere; denn auch der Raum selbst ist ohne Zeit nicht messbar, nicht begreifbar.
So die Zeit ist eigentlich symbolisch der geeignetste Ausdruck für Meine Größe; denn Zeit als Begriff gab es immer, und wird es immer geben, ob man sie messen will oder nicht. Seht also, wenn ihr diesen großen Faktor, die Zeit, von dieser Seite anseht, so ist er es allein, welcher euch eine Idee von Mir und einen Begriff von Meiner Schöpfung geben kann. In Zeiträumen erfolgte die Schöpfung, eine aus der anderen, eine nach der anderen, und in Zeiträumen werden diese von Mir geschaffenen Welten sich entwickeln, sich vervollkommnen, und in Zeiträumen werden sie wieder vergehen, und neuen Formen, neuen Welten, neuen Schöpfungen Platz machen. So ist die Zeit der einzige Messer, nach welchem Meine Schöpfung beurteilt werden kann; denn die Zeit als Größe, die Zeit als Entfernung und die Zeit als Dauer eines geschaffenen Gegenstandes gibt dessen Wert, dessen Inhalt und dessen Wirkungskreis an. Was dort im unendlichen ewigen Äther in Zeitabschnitten Meine Welten vollführen, das ist wieder im Kleinen bei jedem erschaffenen Ding und bei dessen Dauer der Fall; nur die Zeit gibt dem Stein seine Größe, seine Dauer, und bei lebenden Wesen ist es wieder die Zeit, die seinen Lebenswert bestimmt.
So ist also der Begriff Zeit ebenso wenig aus der Schöpfung zu vertilgen, als wie Ich Selbst; ohne Zeit gibt es keine Welt und ohne Mich gibt es keine Zeit!
Was ist der Zeitraum des Menschenlebens, von der Wiege bis zum Grab? Er ist  nichts anderes als ein nur durch Zahlen ausgedrückter Abschnitt der Unendlichkeit, welcher an einem sichtbaren, geschaffenen Wesen in seinem Entstehen, seiner Entwicklung und seinem Vergehen sichtbar ist; ohne diese sichtbaren Veränderungen wäre keine Zeit zu messen, wenn ihr nicht gerade den Wechsel der Tage oder den Wechsel zwischen Tag und Nacht zählend einen Zeitmesser durch selbes gewonnen hättet.
Die Zeit hat keinen Anfang und hat kein Ende, sie kommt aus der Unendlichkeit und verrinnt wieder spurlos in selbe; nur sichtbare Schöpfungen zeugen von ihrem Kommen und Gehen, sonst wäre sie unmessbar. Diese Zeit also, welche als Maß jedem geschaffenen Ding seine Dauer angibt, binnen welcher es sich geeignet haben muss, auf der großen Stufenleiter zum Geisterreich fortzuschreiten, diese Zeit ist eben auch das Maß für geistige Wesen, binnen welcher es ihnen auferlegt ist, gewisse Missionen zu erfüllen; denn so wie die großen Welten und Sonnensysteme ihre angemessene Zeit der Dauer haben, ebenso haben auch alle geschaffenen Wesen eine gewisse Zahl von Zeitabschnitten, welche ihr Leben bis zur nächsten Verwandlung bestimmen.
Die Zeit für den großen Weltenbau ist eine bestimmte, denn nach Verlauf derselben treten andere Verhältnisse ein, welche von anderen Welten bedingt nun geregelt werden; diese Zeit ist also gemessen, und es muss während derselben vollführt werden, was nach dem Plan des Ganzen gerade zur Erhaltung des Einzelnen wie des Ganzen nötig ist; was nun bei den Welten der Fall ist, das gilt auch für jedes einzelne Geschaffene, auch für den Menschen; denn auch ihm ist von der Geburt bis zum Tod ein Zeitraum angemessen, während welchem er seine Mission des Prüfungslebens vollenden sollte! Da aber der Mensch ein freies Wesen ist, und da er eben auch ein Komplex von Geistigem und Materiellem ist, so ist es ihm allein gestattet, was er hier während seiner körperlich-irdischen Lebensbahn nicht erreichen konnte, im Jenseits noch zu vollenden; denn der Mensch ist ein Kind zweier Welten, der geistigen und der materiellen. Eben wegen diesem Verhältnis sind im Äther so viele Räume mit unreifen verstorbenen Seelen angefüllt, die dort vollenden müssen, was sie hier nicht konnten, sonst wäre ein Übergang von der materiellen Welt zu den geistigen Wohnorten für sie direkt möglich, welches aber so nicht stattfinden kann, da die Seelen der Menschen, leider die meisten, unreif in der anderen Welt ankommen.
Was erhellt aber aus dieser Kundgebung? Seht, es erhellt aus selber, dass die Menschen ihre Lebensdauer, d.h. die Zeit ihres Erdenwandels, so viel als möglich benutzen sollten, ihren Geist reif für die andere Welt zu machen, damit ihnen diese Zwischenreiche erspart würden, und darum gebe Ich euch dieses Wort über die Zeit, damit ihr aufmerksam werden sollt, wie groß der Wert der Zeit ist, und dass dieses vergeudete Gut für euch ewig verloren ist. Ihr müsst euer Leben bei weitem ernster auffassen als wie bisher; ihr müsst der Zeit einen bei weitem größeren Wert beilegen als ihr bisher getan; es sollen nicht in euren Mund kommen die Worte als „Zeitvertreib“, denn nehmt euch in Acht, die Zeit vertreibt euch, oder „die Zeit totschlagen,“ denn die Zeit ist’s, welche euch den Tod bringt, nicht ihr der Zeit. Die Zeit, zerfallend in kleine Parzellen, sollte jeder dieser Teile als geistiger Baustein fürs künftige Leben einen Wert haben, wenn auch noch so klein, allein wertlos soll er nicht sein.
Die Zeit ist der strengste Rechner eurer Taten, und alles Gute und Schlechte, Überlegte und Unüberlegte, Übereilte, in der Zeit findet es seinen Schätzmeister. Nachdem die Zeit das Geschehene nicht wieder zurückgibt, so müsst ihr Alles aufwenden, so wenig als möglich in diese Zeitregister eingeschrieben zu sehen, was ihr zurückhaben möchtet; denn es bleibt eben wegen seiner Unwiederbringlichkeit ein ewiger Vorwurf, ein ewiger Dorn, und Dornen verwunden, stechen. Wäre nicht Meine allerbarmende Liebe, was würde der Mensch wohl tun müssen, um das Andenken an manches Getane zu verwischen, das die Zeit hartnäckig ihm nicht zurückgibt? — Nur Meine Vaterhand kann diese Wunden heilen, die die Dornen des Vergangenen, Gemissbilligten verursacht haben.
Daher benutzt eure Zeit! Vertändelt sie nicht, die Zeit bin Ich, die Zeit ist das euch gegebene Prüfungs-, das Lebens- oder Wandel-Maß, welches ihr getreu verwaltend als geliehenes Gut einst Mir zurückgeben müsst! Die Zeit ist das Talent, welches Ich einem Jeden bei seiner Geburt als Angebinde gebe, vergrabt es nicht, sondern benutzt dieses Talent, auf dass es euch recht viele und große Zinsen im Jenseits abwerfe; bedenkt, mit Allem, was ihr hier gewinnt, verkürzt ihr eure Wanderjahre jenseits im Mittelreich, wo das Fortschreiten und der Zeitmesser weit schwerer ist. Es ist wahr, Ich habe für Meine Kinder große Seligkeiten bereitet; aber nur die genießen selbe einst, welche in jene Räume gelangen können, wo selbe gespendet werden, und welche nur die ertragen können, die auch dort sich nur wohl befinden. So lange euch noch Erdschlacken von Leidenschaften anhängen, könnt ihr nicht dorthin gelangen, wo die Zeit euch kein strenger Richter, sondern ein lieblicher Freund ist, welcher zwischen seligen Genüssen und Freuden euch langsam vorwärts führt,  und wo ihr getrost rückwärts sehend wenig oder gar nichts zu bereuen haben werdet.
Nehmt euch diese Worte zu Herzen! Es sind Worte eines Vaters, Der Seinen Kindern das, was Er ihnen vorbehalten hat, auch genießen möchte lassen, und eben daher euch mahnt: die Zeit, Ausfluss Seiner Göttlichkeit, nicht zu viel zu Materiellem, wohl aber zu geistigen Genüssen zu benutzen, denn die Zeit vergeht, führt euch auch zum Vergehen und Verwandeln. —
Wohl euch, wenn diese Verwandlung euch in Räume führen wird, wo euch Der, Der euch schon so Vieles gegeben, auch fühlbar sein kann, und nicht wie im Mittelreich bloß geahnt werden muss. Die Zeit ist das Maß der Dauer der Welten, sie ist aber auch das Maß eurer Taten und Werke, benutzt sie also so, wie es geistigen und nicht materiellen Menschen geziemt, die Mir ähnlich werden wollen; denn zu diesem Zweck gab Ich euch dieses Wort. Amen!


Quelle: Betrachtungen an Weihnachten nebst Worten zum Jahreswechsel, Erscheinungsfest, Geburtstag, Carneval, Tanz und Frühling, Neu-theosophische Schrift Nr. 44, Kundgabe vom 7. August 1872

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