Gottfried Mayerhofer Das Kreuz - Gottfried Mayerhofer

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Das Kreuz
Ja, Mein Kind, das Kreuz soll heute Mein Wort dir erklären, soll dich in den Tiefen der Entsprechungen den eigentlichen Wert und Sinn fühlen und begreifen lassen, wie es der Menschheit noch nie aufgedeckt wurde das große Geheimnis, welches in diesem Zeichen liegt; denn es ist nicht ohne geistige Bedeutung, dass Ich „ans Kreuz“ genagelt und nicht zu einer anderen Todesart verdammt wurde. (Lk.2, 34.)
Wie nun alle geistigen Entsprechungen meistens weiter näher liegen als man glaubt, so ist auch diese, welche Ich dir jetzt machen will, so nah, dass du erstaunen wirst, warum du selbst noch nicht auf diesen Gedanken kamst. Allein es ist bei euch Menschen so, ihr späht in Meinen fernsten Himmeln in ungeheuren Entfernungen von euch nach Mir, nach Meinen Gesetzen, ihr sucht in den letzten Infusorien [winzige Tierchen, wovon z.B. tausende in einem einzigen Wassertropfen leben]  dieselben zu entdecken, habt ein unermesslich Reich, unendlich nach Oben und unendlich nach Unten vor euch, der „Makro- und der Mikro-Kosmos” lässt euch immer noch unbefriedigt, es entfliehen euren Gründen die Anfänge des einen, und die Enden des anderen, während ihr Zeit und Leben verschwendet, alles außer euch zu suchen, ist diese große Rätsel schon längst klar und fertig gelöst im Inneren durch den göttlichen Funken in euch gegeben, wo nur eine kleine Einkehr im letzten Heiligtum des Herzens euch Allen klar machen würde, was in der ganzen Schöpfung nur auf indirektem Weg vom Materiellen zum Geistigen gesucht, aber nur vom Geistigen zum Materiellen gefunden werden kann! Nun, Mein Kind, gehen wir wieder zum Kreuz zurück, wo Ich auch dort, um es dir verständlich zu machen, vom Materiellen aufs geistige Feld der Entsprechung führen will.
Sieh doch einmal ein Kreuz an, wie ist denn dieses geformt? Du wirst sagen: „Es ist ein aufrechter Balken, welcher auf der oberen Hälfte durch einen Querbalken oder ein Querholz durchschnitten ist, worauf die Arme des Gekreuzigten geheftet waren.” Gut, sage Ich, du hast Recht Mein Kind; was bedeutet aber diese Form geistig? Diese Form geistig genommen bedeutet, wie materiell ersichtlich, zwei Richtungen, welche in einem Punkt sich begegnen, dort sich schneiden, und so eine die andere „durchkreuzt”. Die eine Form als aufrecht stehende, die hinauf strebt, wird durch die andere, die parallel mit dem Boden läuft, durchkreuzt, sie tritt ihr also hinderlich in den Weg. Bei einem ans Kreuz Genagelten ist der Kopf und das Herz am aufrecht laufenden Balken, und die Hände am querlaufenden Holz angeheftet; dies bedeutet: Das Streben des Geistes samt der Seele soll nur nach Oben gerichtet sein, es wird aber durch die Handlungen unterbrochen, oder der Zweck der Ersteren wird durch die Zweiten „durchkreuzt“. Denn das Wort „Handlungen” bezeichnet ja eigentlich nur Dinge und Taten, welche mit der Hand verrichtet werden, wo dann auch im geistigen Sinn das Wort der Handlanger der Seele ist, und ihr als Mittel zum Zweck dient. Hier hast du also die geistige Entsprechung der Kreuzesform welche Ich wählte, indem Ich Meinen Geistern in ihrer Sprache sagen wollte: „Mein Streben, euch und die Menschen nach Oben zu führen, habt ihr oder wenigstens ein großer Teil von euch durch verkehrtlaufende oder entgegengesetzte Handlungen vernichten wollen; auch die Menschen während Meines irdischen Lebenswandels wollten durch ihr Gebaren Meine Mission vereiteln, allein während am Pfahl nach Oben Mein menschliches Herz zu pulsieren aufhörte und Mein Haupt sich neigte, während Meine Arme am Querholz angeheftet materiell zur Untätigkeit verdammt waren, entfloh Mein Geist am Schluss Meiner Sendung mit den Worten: „Es ist vollbracht!” und Meine geistigen Hände, frei wie sie stets waren, erhoben sich, als Weisheit bittend zur Liebe mit den Worten: „Herr! verzeih’ ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!”
Diese zwei widersprechenden Richtungen, geistiges Leben und materielle Tat, erhielten durch Meine letzten Worte ihre größte Weihe. Meine Mission war vollbracht, und denjenigen, welche selbe verkürzen oder gar vernichten wollten ward Verzeihung! Die Liebe sandte Mich auf die Erde, und die Weisheit, den allzu großen Drang modifizierend, erzielte erst mittelst des letzten materiellen Akts den größten geistigen Sieg. Sowie nun das Kreuz einst ein Schandpfahl, durch Mich eine ehrfurchtsvolle Bedeutung erhalten hat, so wie ihr und viele Meiner Kinder, denen es gerade Meinethalben nicht zum Besten geht, die Spruchweise angenommen haben: „sich unter oder an das Kreuz schmiegen, selbes geduldig tragen“; ebenso sollst auch du, Mein Kind, Alles, was quer durch deine geistige Lebensbahn läuft, so nehmen, wie Ich es einst genommen; auch du sollst mit deinem Geist verbunden deine Seele Mir übergeben, und die querlaufenden Handlungen des menschlich sozialen Lebens so verwerten, dass sie dich nicht am Fortschreiten hindern, und du wie einst Ich am Kreuz, wo Ich erhöht am Schandpfahl jener Zeit in größter Glorie leuchtete, während die von Hass und Leidenschaften verfinsterten Seelen um Mich standen, so stehst einst auch du da! Statt den Fehdehandschuh der verkehrten Welt zuwerfend, ruf ihr zu: „Kommt her ihr Verirrten, Brüder und Schwestern, und lernt von mir und meinem Leiden den höchsten seligsten Genuss eines reinen Herzens genießen!”
Das Kreuz als Symbol von stets zwei sich entgegenstehenden Faktoren soll dir die Lehre geben, dass eben durch die Gegensätze nur die materielle wie die geistige Welt einen Zweck und Bestand hat! Entgegengesetzt in der sichtbaren Welt ist Licht der Finsternis, Kälte der Wärme, Leben dem Tod, Entstehen dem Vergehen, Ruhe dem Kampf; in der geistigen Welt Gutes dem Bösen, Tugend dem Laster, Liebe dem Hass, Nächstenliebe der Eigenliebe. Hier siehst du überall das Symbol des Kreuzes, einst durch Mich geheiligt, schon längst  früher geistig in Entsprechung in Meiner ganzen Schöpfung als einziges Bestands- und Erhaltungsmittel herrschen. Erkenne also des Kreuzes hohe Bedeutung, trage auch du die Folgen aller streitenden Bewegungen in dir, mäßige deine Wünsche ganz geistig nur Mir anzugehören, und das Weltliche gar nicht zu beachten; solange du deinen irdischen Körper trägst, musst du irdisch handeln, kannst aber dabei geistig fühlen, kannst jeder Handlung den Stempel der Göttlichkeit aufdrücken, aber ganz Geist, ganz mit Mir vereint zu leben ist nicht möglich, schneide dir die Wege zum Wohltun nicht selbst ab; ehre und genieße, was Ich dir an irdischen Gütern in den Schoß schütte, wende mit Weisheit an, was Ich dir mit Liebe gebe, und du erfüllst so deinen Zweck ebenso gut, wie Ich am Kreuz trotz aller zuwiderlaufenden Umstände, symbolisch ausgedrückt durch das Holz, auf welchem Ich Meine irdische Laufbahn vollendete, und dabei doch Ich Sieger geblieben bin. Gedenke des Kreuzes in seiner geistigen Entsprechung, und du wirst dich mit deinem Schicksal aussöhnen, du wirst begreifen, wie ein Kreuz ohne Querbalken kein Kreuz ist, ebenso wenig ein geistiger Sieg über sein Ich beim Menschen möglich, ohne die entgegengesetzte Strömung materieller Hindernisse, die am Ende doch nur statt den geistigen Fortschritt zu hemmen selben befördern müssen! Erinnere dich Meiner letzten Worte: „Es ist vollbracht!” und strebe auch du danach, deine Mission glücklich zu enden, wie Ich die Meinige, und wie Ich Meine Mission mit Meiner Auferstehung krönte, so hoffe auch du deine geistige Wiedergeburt in Meinem Reich! Amen!


Quelle: Das Leiden des Herrn, Neu-theosophische Schrift Nr. 35, Kundgabe vom 26. Januar 1872


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