Gottfried Mayerhofer - Predigten des Herrn - Gottfried Mayerhofer

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PREDIGTEN DES HERRN
- Originaltext nach der Erstausgabe von 1892 -
7.
Am zweiten Sonntag nach Weihnachten

Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Lukas 2,41-52: Und seine [Jesus] Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wussten's nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Freunden und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist's, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.


Empfangen am 26. Dezember 1871

Der Grund von Jesus Menschwerdung

Auch dieses Evangelium ist aus dem zweiten Kapitel Lukas genommen und bespricht die drei Tage Meines Aufenthalts im Tempel in Meinem zwölften Jahr. Was Ich dort tat und lehrte wisst ihr aus der Dreitagesszene [1], worin Ich es euch vor Jahren schon näher erklärt habe. Wir wollen also diesen Akt aus Meiner Jugendgeschichte übergehen, und selben nur insofern in Betracht ziehen, als er sich geistig vor Meiner Wiederkunft ebenfalls wiederholen wird und sich eigentlich schon wiederholt.
Seht, Meine Kinder! Jede Meiner Handlungen zu damaliger Zeit, von Meiner Geburt bis zu Meiner Himmelfahrt, hat eine doppelte, ja dreifache Bedeutung, denn was Ich tat und redete war nicht nur allein für das Judenvolk, sondern für die ganze damalige und zukünftige Menschheit, ja für Mein ganzes Geisterreich bestimmt. Ich wollte ihnen allen durch Meine Lehre und durch Mein Beispiel den Weg zeigen, wie die Vereinigung mit Mir, dem göttlichen Geist, erreicht, und die Gotteskindschaft erlangt werden kann.
Ich bekleidete Mich nur deshalb mit der menschlichen Natur eines Erdenbewohners, und musste wie jedes Kind nach und nach Meine Seele, die Ich aus dem allgemeinen Seelenbildungsstoff der gerichteten Materie entnommen habe um selbe Meinem Geist anzupassen, ausbilden, Meine Begriffe und Anschauungen regeln, alle Leidenschaften der menschlichen Natur bekämpfen; und so zeigte Ich als lebendes, kämpfendes und duldendes Menschenkind, wie und um welchen Preis ein geschaffener Geist die Wiedervereinigung mit Mir, dem ungeschaffenen Urgeist erreichen kann, indem er seine Seele gleich wie Ich Meine Jesus-Seele, dem göttlichen Geist in sich gänzlich unterordnet.
Wenn aber die geistige Entwicklung Meiner, Mir zu Meinem Zweck dienenden Menschenseele schneller ging als wie bei gewöhnlichen Menschenkindern, wenn Ich in Meiner frühesten Kindheit schon Worte des Geistes sprach wo andere Kinder noch unverständliche Laute hervorbringen, wenn Ich, während dem dreitägigen Aufenthalt im Tempel Aufklärungen gab und sogar Wunder wirkte, so war das ein Beweis, Wessen Geist in Meiner menschlichen Hülle lag und wie leicht bei der mindesten Erregung Er durch diese Hülle durchleuchtete.
Bis zu Meinem dreißigsten Jahr musste Mein Erdenmensch zu dem großen Werk, das er vollführen sollte, ausreifen, um dann in den drei letzten Jahren den Grundstein zur höchsten, nie vergehenden große Geisteslehre zu legen, ohne welche ein Fortbestand der Schöpfung unmöglich geworden wäre; denn es genügte nicht, Geister mit ungeheuren Kräften und göttlichen Eigenschaften geschaffen zu haben, sie mussten auch wissen, warum und wozu Ich ihnen diese Vollkommenheiten gegeben habe, sie musste Mich erst ganz verstehen und Meine Schöpfung erst ganz begreifen lernen, um einen weisen Gebrauch von ihren Kräften und ihrem Schöpfer Ehre machen zu können. Das war der Zweck Meiner Menschwerdung auf Erden und Meines ganzen irdischen Wandels, und er galt nicht nur unmittelbar Meinem Geisterreich sondern auch mittelbar der Materie, indem letztere ja nichts anderes als gefestetes Geistiges ist, das ebenso wie die Geister nur auf längerem Weg als Partikel Meines geistigen Ichs sich vergeistigen, und so zu Mir zurückkehren sollen.


Bedeutung und Zweck der Lehre Jesu

Die Ereignisse Meiner Geburt, Meiner Flucht nach Ägypten und Meiner Rückkehr nach dem Judenland waren schon längst vorausbestimmte Phasen in der geistigen Ausbildung Meiner Menschenseele; und bei Meinem Aufenthalt im Tempel in Meinem zwölften Jahr zeigten sich in Mir schon einzelne Geistesfunken, die über die damals gewohnten Lebens- und Religionsansichten weit hinaus leuchteten, und auch so manchen Meiner Zuhörer zum Nachdenken brachten, wer Ich eigentlich sein mag, ob in Mir nicht doch der verheißene Messias erschienen sei, da nach den Prophezeiungen die Zeit des Erscheinens Desselben da war.
Dass sie alle natürlich einen ganz anderen Messias wollten als Der Ich war, ist begreiflich, da das Judenvolk in jener Zeit unter dem Druck einer Fremdherrschaft stehend, einen politischen Befreier mit aller Sehnsucht erwartete; sie hatten alle den Blick nach unten gerichtet, während der Messias von oben kam.
Dass Ich im Tempel statt die Mir vorgelegten Fragen zu beantworten den gelehrt sein wollenden Priestern andere aufgab, die sie in Verlegenheit brachten, hatte auch den Zweck um sie vor dem Volk bloß zu stellen und ihr oberflächliches Wissen von göttlichen Dingen vor demselben zu enthüllen, damit dann Mein Wort als Keim zu Meiner künftigen Lehre tiefer einwirke; und wirklich erwarb Ich Mir in diesen drei Tagen manch eifrigen Verehrer Meiner Person und Meiner Lehre, die Mir auch später anhingen. Zugleich aber machte Ich Mir viele der Pharisäer und Priester zu Feinden; und eben durch diese beiden Gegensätze lebte Mein hingeworfenes Wort als geistiges Brot fort und brachte seine wohlberechneten Früchte, während, wenn sie alle mit Mir einverstanden gewesen wären, am vierten Tag kein Mensch mehr an Mich und Meine Lehre gedacht hätte, zumal man Mich ja so nur als einen aufgeweckten, vielleicht auch etwas satirischen Knaben betrachtete.
Im Allgemeinen aber erkannte man Mich damals noch nicht; ja selbst Maria, Meine Leibesmutter, verstand Mich nicht als Ich auf ihren Liebesvorwurf wegen Meines Zurückbleibens antwortete: Wisst ihr nicht, dass Ich sein muss in dem, das Meines Vaters ist? Joseph und Maria begriffen nicht, was Meines Vaters war; sie waren ja selbst noch zu sehr dem jüdischen Kultus ergeben und glaubten, die ganze Religion bestände in Haltung der Gebräuche; sie kannten Mich nicht und Meinen Vater noch weniger, denn für sie gab es nur einen unteilbaren unsichtbaren Gott.
Die spätere Zeit, wo Ich bis zu Meinem öffentlichen Auftreten als Lehrer bei Meinen Leibesverwandten als Zimmermann lebte, brauchte Meine Seele um eins zu werden mit dem Vater in Mir; die irdische Verwandtschaft verlor immer mehr an Bedeutung, dagegen trat die große geistige für die Menschheit und das große Geisterreich immer mehr hervor, bis Ich endlich im vollen Maß Meine Mission vollführen konnte, indem Meine Seele mit dem göttlichen Geist vereint das lehrte und wirkte, was ihr im Großen Evangelium Johannes [2] aufgezeichnet findet, und was seit jener Zeit mit unvertilgbaren Zeichen im großen Schöpfungsplan geschrieben steht, nämlich: Erklärung und rechte Auffassung der göttlichen Eigenschaften und des Wesens Gottes, sowie auch des Wesens des Menschen in Bezug auf seine menschliche und geistige Würde; Erklärung des wahren Verhältnisses Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott, sowie auch der Menschen zueinander.
Das war der Zweck Meiner Lehre, die göttlich ist und bleibt, weil Ich sie Selbst als Richtschnur für Meine göttlichen Abkömmlinge gegeben habe, wie sie Gott als Herrn, Schöpfer und Vater lieben und sich Ihm nähern können und sollen.


Geistiges Erwachen und Reinigungsprozess der Menschheit

Und nun, Meine Kinder, nachdem Ich euch erklärt habe, warum Ich zur Welt kam, und warum bis zu Meinem zwölften Jahr die Ereignisse sich so und nicht anders gestalten mussten, jetzt will Ich an der Gegenwart und den jetzigen Zeitverhältnissen euch den Knaben Jesus in seinen Fragen an die Priester vor Augen führen.
Seht, in der Welt geht es oft so, dass man die Augen in die Ferne richtet und das Nahe nicht bemerkt, oder wie ein Sprichwort sagt, den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.
Was ist denn eigentlich das Knabenalter? Es ist das Erwachen des Geistes, wo die Seele sich geistige Kenntnisse verschaffen will, wo sie das Äußerliche, sie Umgebende mehr zu beachten anfängt, und auch nicht mehr taub ist für die Stimme, die im Inneren spricht, und zwar meistens anders als man es wünscht.
Dieses Knabenalter der Menschheit, dieses Erwachen vom langen Glaubensschlaf, besonders in religiösen Dingen, diese Meinem zwölften Jahr entsprechende Zeit ist jetzt da; vieler bemächtigt sich eine geistige Bewegung und viele fangen an, den allein gelehrt und unterrichtet sein wollenden Theologen und Schriftgelehrten dieser Zeit Fragen vorzulegen, und das zum Glauben Vorgeschriebene zu untersuchen und zu beurteilen.
Dieses Vorläuferstadium Meiner späteren reiferen Lehre ist es, was die Einen zur Ruhe, die Anderen zur Verzweiflung führt. Es ist wieder das Wort, das im Anfang war, und das Gott Selbst ist, das allmächtig alle Herzen durchdringt, und dort tausend andere Gedanken hervorruft und zu tausend anderen Worten Anlass gibt.
Das Wort gleicht einer Lawine und ist wie diese anfangs klein, vergrößert sich aber immer mehr und mehr, bis es endlich alles mit sich fortreißt. So wie eine Lawine schneebedeckte Abhänge von ihrer Schneedecke befreit und dem Licht der Sonne wieder den Zugang zur Mutter Erde erleichtert, ebenso reißt die geistige Gedanken- und Wortlawine all die künstlichen Gebäude von Lug und Trug hinweg, und der Gnadenschein des göttlichen Liebelichts kann dann die unter solcher Eis- und Schneedecke erstarrten Herzen wieder erleuchten und erwärmen.
So geht die Vorbereitung zum großen Reinigungsprozess vor sich; selbst in den sozialen Verhältnissen als Ergebnisse der geistig-religiösen tritt eine Bewegung ein, die nach Ausgleich und nach Wiedereinsetzung göttlich-menschlicher Rechte verlangt.
Es ist die Frühlingszeit, die dem heißen Sommer, in der die Früchte ausgereift werden müssen, vorausgeht, damit man dann im Herbst die gehörige Ernte halten kann.
Nach den Frühlingsjahren oder der Zeit der Gärung wird eine Zeit des Sommers mit seinen Gewittern und heißen Tagen zum Ausreifen der Frucht kommen, woran sich der Herbst als Erntezeit anschließen wird, wo Ich dann durch Meine Schnitter das Unkraut vom Weizen sondern, das Bessere in Meine geistigen Himmel und vergeistigten Welten, das Schlechtere aber in die gefestete Materie verbannen lassen werde, wo sodann auf weiten Wegen das angestrebt und erreicht werden muss, was auf kürzerem zu erreichen verschmäht wurde.


Der Ruf an jeden Einzelnen

Bereitet euch vor im Frühling des geistigen Lebens, damit ihr die Sonnenglut und die Gewitter des Sommers mit Geistesstärke zu ertragen vermögt, und aus den Kämpfen siegreich hervorgeht, und im Herbst an euch nicht leere Blätter, sondern schön ausgereifte Früchte in Worten und Taten würdig eines Kindes des göttlichen Vaters zu bemerken und vorzufinden sind.
Reinige ein Jeder sein Herz von allem Weltlichen, so gewinnt ihr dann Meine Liebe, Mein Reich und euren Seelenfrieden, und seid keine wankende Schilfrohre mehr, sondern durch Wind und Wetter erstarkte Bäume geworden.
Die Bewegung der Zeit, die Bewegung der Gemüter und die Bewegung im eigenen Herzen drängen euch zum Vorwärtsschreiten; beachtet diese Rufe, die Ich nun in so vielen Formen an euch ergehen lasse, denn sie haben ja doch immer nur euer Bestes zum Ziel; und dieses könnt ihr mit Meiner Gnade auch erreichen, wenn ihr nur wollt. Amen.



[1] Jakob Lorber, Die Dreitagesszene Jesu im Tempel als er zwölf Jahre alt war
[2] Jakob Lorber, Das große Evangelium Johannes (10 Bände)


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